Zwei Frauen überqueren eine Brücke, beide ziehen einen Einkaufstrolley hinter sich her. Die blaue Farbe des einen Trolleys ist bereits ausgeblichen, ein Rad stockt immer wieder und schleift am Boden. Eine der beiden Frauen hält kurz an, um sich die Jacke enger um den Bauch zu ziehen. Unter der Brücke fährt ein Schnellzug auf der Westbahnstrecke stadtauswärts. Währenddessen werden die beiden Frauen von einem älteren Mann überholt, auch er zieht einen Trolley nach. An einer Ampel hinter der Brücke bleibt der Mann stehen und wartet. Entlang der Bahn hängen Werbeplakate: „Sortenvielfalt Äpfel“, dahinter „Wo ich einkaufe, ist mir nicht Wurst!“

Inzwischen haben die beiden Frauen wieder aufgeholt. Die Ampel schaltet auf grün. Gemeinsam wechseln alle drei die Straßenseite, wo sie eine Baustelle dazu zwingt, ihren Weg in einer Reihe hintereinander auf der Fahrbahn fortzusetzen – blauer Trolley, lila Trolley, roter Trolley. Wenige Schritte nach der Baustelle erreichen sie ihr Ziel: Das Pfarrzentrum Penzing. Wo sie einkaufen, können sie sich nicht aussuchen. Auch auf Sortenvielfalt können sie keinen Wert legen – dafür fehlt das Geld. Um ihre Einkaufstrolleys mit den nötigsten Lebensmitteln zu füllen, besuchen sie einmal in der Woche die Lebensmittelausgabe Le+O der Caritas.

Le+O steht für Lebensmittel und Orientierung. „Für 3,60 Euro können sich die Menschen hier selbst ihre Trolleys mit Grundnahrungsmitteln füllen.“, sagt einer der freiwilligen Helfer. „Um allein damit auszukommen, müssen sie allerdings gut organisiert sein“. Gleichzeitig unterstützen Sozialarbeiter die Klienten mit Beratungs- und Orientierungsgesprächen.

Ein grauhaariger Mann betritt die Halle der Lebensmittelausgabestelle und bezahlt an einem kleinen Tisch, hinter dem eine Frau die Münzen sorgfältig in eine rote Handkasse sortiert. Während er seinen Trolley abstellt, lässt er den Blick durch den großen Raum wandern und nickt einigen Leuten zu – man kennt sich. Gustav* hat mehrere Berufe hinter sich, als Kraftfahrer ist er schließlich in Frühpension gegangen. „Nach dem Tod meiner Frau wurde es dann finanziell knapp“, sagt er. Seitdem sei er auf die Lebensmittelausgabe der Caritas angewiesen.

Im hinteren, kleineren Teil der Halle, werden die Nahrungsmittel ausgegeben. Auf einem langen Tisch liegen Reis, Zucker, Konserven, aber auch frisches Obst und Gemüse bereit. Mit vollgeladenen Einkaufstrolleys verlassen die Klienten das Gebäude wieder. Einige ältere Frauen bleiben immer wieder kurz stehen und wechseln ein paar Worte. „Schwer ist das Wagerl schon“, sagt eine kleine Frau auf Wienerisch. Ihre Haare sind weiß, ihre Hände zittern ein wenig, „aber bis nach Hause schaff ich’s derweil schon noch“.

Voraussetzung, um sich für die Essensausgabe bei Le+O anmelden zu können, ist ein fester Wohnsitz. Wer keinen hat, ist auf andere Hilfeleistungen angewiesen. Zu diesen gehören auch die Wärmestuben der Caritas, die im Winter in Wien ihre Türen für Kälteleidende öffnen. Am Stadtrand im 23. Bezirk steht die Bergkirche Rodaun. Ein steiler Weg führt zur Kirche hinauf – dahinter steht sich ein kleines Haus, das zur Pfarre gehört. Jeden Donnerstag von zehn bis 17.00 Uhr verwandeln sich die Pfarrräumlichkeiten in eine solche Wärmestube.

Große, rötliche Teppiche bedecken den Boden des Aufenthaltsraums. Die Schuhe müssen alle Gäste – so nennt die Betreiberin der Wärmestube, Elfriede Obrovsky, ihre Besucher – deshalb im Vorzimmer ausziehen. An diese Regel hält man sich hier. Wer besorgt um seine Schuhe ist, darf sie in eine Plastiksackerl packen und mit in den Aufenthaltsraum nehmen. Von der Decke hängen zwei ausladende Kronleuchter, die Schatten an die Wände werfen.

Der Tag in der Bergkirche Rodaun beginnt mit einem Frühstück. Zwei Tische im vorderen Teil des Raumes sind mit Tee- und Kaffeegeschirr gedeckt, auch kleine Speisen liegen bereit. Zu Mittag gibt es eine warme Mahlzeit. Für den restlichen Nachmittag serviert die Betreiberin Snacks und Getränke. Die Zeit zwischen den Mahlzeiten vertreiben sich die Gäste mit Kartenspielen, Zeitunglesen oder indem sie sich einfach nur ein wenig ausruhen.

In der Ecke sitzt ein Mann mit dichtem Bart und spielt mit seinem Handy. Bereits drei Jahre ist Herbert* obdachlos. Auf der Straße landete er, nachdem er zunächst seinen Job und daraufhin seine Wohnung verloren hat. Die erste Zeit war hart, aber langsam „wird man dann etwas gelassener“, sagt er, denn auch das Leben auf der Straße sei ein Lernprozess. Inzwischen komme er in der Nacht mit einem guten Schlafsack auch bei -15°C gut zurecht. Wesentlich dabei sei es, trocken zu bleiben. Mit dem Alter werde es wieder etwas schwieriger, wenn etwa öfter Arztbesuche notwendig sind. Es ist gefährlich, den ganzen Tag in der Kälte zu sitzen. Deshalb besucht er im Winter die Wärmestuben.

Die PfarrCaritas startete die Initiative Wärmestuben im Jahr 2012. Betrieben werden die einzelnen Stuben jedoch von den jeweiligen Pfarren – oder von Privatpersonen, die sich in den Pfarren engagieren. Während sich die Caritas um Ausschreibungen kümmert und die Wärmestuben bei Klienten bewirbt, müssen die Betreiber für die Finanzierung aufkommen. Um die Wärmestuben zu erhalten, sammeln sie laufend Spenden. Reichen die Spenden nicht aus, kommt das Geld für die Nahrungsmittel oft aus der eigenen Tasche. „Die Pfarre unterstützt mich zwar, aber wenn das Geld nicht reicht, bezahle ich Einkäufe oft selbst.“, sagt Betreiberin Obrovsky.

Nicht nur Menschen, die auf der Straße leben, besuchen die Wärmestuben. Josef* hat ein kleines Zimmer im zweiten Bezirk, für eine Heizung reichen die finanziellen Mittel jedoch nicht aus. Ähnlich wie viele Gäste der Wärmestube hat auch er sich von Job zu Job gearbeitet,schließlich fehlte es an Geld für die Altersvorsorge. „Die Wärmestube ist eine gute Sache, auch sozial, man kennt sich untereinander“, sagt er. Am Abend kehrt Josef wieder in seine Unterkunft zurück, denn Übernachtungsmöglichkeiten bietet die Wärmestube nicht. Pünktlich um 17.00 Uhr schließt die Betreiberin die Türen wieder.

Armut und Armutsbekämpfung in Österreich ist ein Thema, das auch der Verein SOCIUS sichtbar machen möchte. Marianne ist Mitglied des Vereins und möchte zum Thema der finanziellen Knappheit im Alter nicht schweigen. Wenn die schlanke Frau erzählt, dann mit Elan und Energie, die sie gut zehn Jahre jünger wirken lässt.
Marianne hat vierzig Jahre gearbeitet, trotzdem reicht für sie die Pension, die sie vom Staat Österreich bekommt, nicht aus. Zeit ihres Lebens war sie als Sekretärin in Rechtsanwaltskanzleien tätig, daneben Alleinerzieherin zweier Kinder. Auch nach ihrer offiziellen Pensionierung arbeitete Marianne weiter: 16 weitere Jahre blieb sie bei dem Rechtsanwalt.

Heute ist Marianne 73, aber an Ruhestand ist für sie noch immer nicht zu denken. Um ihr Einkommen aufzubessern, arbeitet sie fünf Stunden pro Woche in der „Vollpension“, einem Generationencafé in Wiens viertem Bezirk, indem sie die  Gäste betreut  und für das Vernetzen von Jung und Alt zuständig ist. „Ich bin gern in Kontakt mit Menschen. Ich quatsch’ die Leute einfach an“, erklärt sie und grinst dabei schelmisch. Das zusätzliche Einkommen von zirka 300 Euro pro Monat, dass sie in der Vollpension verdient, kann Marianne gut gebrauchen: „Es ist nicht immer leicht, mit der Pension auszukommen. Ich bin ja geschieden, das heißt, ich muss alles allein tragen. Allein meine Gemeindewohnung kostet schon an die 460 Euro pro Monat.“

Und Marianne ist nicht bereit, sich nur mit dem Allernötigsten zufriedenzugeben. Sie lebt einen aktiven Lebensstil, geht gern in den Turnverein, in die Sauna oder ins Theater. „Ein gewisses Wohlbefinden möchte ich mir schon gönnen“, sagt sie. „Und nur mit der Pension allein, da wäre das einfach nicht möglich.“ Auch unter ihren Kolleginnen in der Vollpension bekämen die meisten weniger als 1000 Euro Pension im Monat. Besonders alleinstehende Personen trifft der Pensionsantritt dabei meist hart. Zieht man Lebenserhaltungskosten vom Einkommen ab, bleibt am Ende des Monats kaum Geld für die Freizeitgestaltung. Auch hier sieht Marianne Verbesserungsbedarf: „Es müsste mehr Angebote für Pensionisten geben – nicht nur diese Seniorenfahrten.“ Marianne möchte sich nämlich nicht nur mit anderen älteren Menschen umgeben. Alt und Jung sollen gemeinsam die Freizeit verbringen, das wünscht sie sich. Auch deshalb arbeitet sie gerne in der Vollpension.

Manchmal jedoch geht es sich – trotz Zuverdienst – hinten und vorne nicht aus.
„Ab und zu hat man eben überraschende Kosten.“ So wie letztes Jahr. Eigentlich wollte Marianne eine Londonreise machen, aber dann musste sie einen größeren Betrag für das Grab ihrer verstorbenen Eltern nachzahlen. „Dann hab’ ich die Reise eben absagen müssen“, sagt sie bedauernd. „Man muss sich’s halt einteilen. Und eine Reserve haben.“

Arm ist Marianne nicht, und unzufrieden schon gar nicht. Trotzdem übt sie Kritik am Pensionssystem: „Da gehört mehr Flexibilität hinein, das sollte variabel gemacht werden – unterschiedliche Situationen sollten unterschiedlich beurteilt werden.“

*Name geändert

Pension in Österreich

Ab welchem Lebensjahr kann die Alterspension in Anspruch genommen werden?
Welches Pensionsantrittsalter soll ab 2033 für Männer und Frauen gelten?
Wie hoch ist die normale Alterspension im durchschnitt? (Jahr 2016)
Wie viele Menschen beziehen in Österreich Alterspension? (Jahr 2016)
Was ist die „Ausgleichszulage“?
Wie hoch ist der gesetzliche Mindestbetrag in der Pension für alleinstehende Personen, die mehr als 30 Jahre gearbeitet und dafür Sozialversicherung bezahlt haben? (Jahr 2018)
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Winnie Wendelin
Winnie Wendelin Winnie Wendelin ist vor allem neugierig und will verstehen, wie die Welt funktioniert. Deshalb studierte sie Physik. Geschrieben hat sie schon immer gerne und so ihren Weg zum Journalismus gefunden. Für OIDA hat sie sich mit dem Thema Armut im Alter auseinandergesetzt, unterschiedliche Projekte besucht und spannende Gespräche geführt. Dabei hat sie erkannt, wie wichtig die Geschichten einzelner Menschen für das Verständnis von sozialen Zusammenhängen sind.
Ida Woltran
Ida Woltran Ida Woltran hat Rechtswissenschaften in Wien studiert. Sie liebt es zu lesen und zu schreiben, besonders gern über’s Reisen, über Menschen und deren Geschichten. Für OIDA hat sie sich mit dem Thema Armut im Alter auseinandergesetzt und mit älteren Menschen über finanzielle Herausforderungen im Alltag gesprochen. Außerdem hat sie Wohngemeinschaften besucht, in denen Studenten und Senioren gemeinsam den Kochlöffel schwingen.