„Immer sitzt du da mit feschen Damen!“ Eine Hand stützt die Pensionistin auf ihren Gehstock, mit der anderen tippt sie Ayman auf die Schulter. Sie trägt Rock und Dauerwelle. Der Student dreht sich um und lächelt ihr zu. „Sie ist meine Freundin und sie ist eifersüchtig“ erzählt er danach schmunzelnd, während er Kaffee bestellt. 40 Cent für den Espresso. Ayman zahlt den Bewohnerpreis. Seit einem Jahr wohnt er hier, im Seniorenwohnhaus Maria Jacobi.


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Teamleiterin Andrea Österreicher übertönt das Gemurmel im Aufenthaltsraum mit Leichtigkeit. Wenn sie erzählt,  etwa vom Seniorenwohnhaus in Döbling, spricht sie klar und energisch. Im Jahr 2015 zogen dort temporär Flüchtlingsfamilien ein. Damals erzählt Österreicher, habe sie gesehen, wie jung und alt sich gegenseitig bereichern. Als das soziale Unternehmen WGE! Gemeinsam wohnen mit ihrem Konzept an sie herantritt, sieht Österreicher eine „Win-Win Situation.“  

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Bild-1.-Ayman-im-Café-im-Erdgeschoss-©-Laura-Anninger
Hier im Aufenthaltsraum sitzt Ayman sehr selten alleine.

400 Meter sind es von der U3 Station Schlachthausgasse zum zehnstöckigen, blassblauen Gebäude. Hier, im Haus Maria Jacobi gibt es 219 Einzel- und 33 Doppelwohneinheiten. Doch immer weniger Pärchen ziehen gemeinsam ein, Zimmer stehen leer. Und das im dritten Wiener Gemeindebezirk, wo ein Quadratmeter Wohnfläche 16 Euro kostet. WGE! vermittelt Studierende, die in den leerstehenden Einheiten zum Betriebskostenpreis wohnen. Zwanzig Studenten leben zurzeit in fünf Wohnhäusern, sechs davon im Haus Maria Jacobi.  Als Kompensation für die geringe Miete, verbringen die Studenten fünf Stunden pro Woche mit den Bewohnern. Frau Österreicher war sofort von dem Projekt eingenommen – aus ideologischen und praktischen Gründen.  Denn „20 Stunden Mithilfe im Monat sind ja nicht wenig – und das mal sechs.“ Ayman Esmaeel ist einer der neuen Mieter. Monatlich bezahlt er 200 Euro für sein 43m² Zimmer. „Ich kann wetten, dass niemand in einer WG so wenig bezahlt,“ sagt der Student. Vorzimmer, Badezimmer und Toilette teilt er mit seinem Mitbewohner. In der Kochnische steht seit kurzem eine Herdplatte. Wenn um Punkt 12 das Mittagessen für die Bewohner serviert wird, ist Ayman an der Universität. Der 28-Jährige absolviert den Master „Embedded Systems“ an der TU Wien. Im Bücherregal in seinem Zimmer reiht sich Ordnerrücken an Ordnerrücken. Durch sein Fenster sieht Ayman Bewohner mit Rollator und Gehstock ein- und ausgehen. Dennoch, betont der Student, wohne er nicht mit Pensionisten zusammen. „Ich bin ein ganz normaler Mieter,“ betont er. Universität, Fitnesscenter, auf Konzerte gehen. „Draußen“, sagt Ayman „habe ich ein ganz normales Leben.“ Im Haus Maria Jacobi nimmt er Rücksicht. Abends dreht er Ed Sheeran nur  auf Zimmerlautstärke.  

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Bild-3.-Ayman-vor-seinem-Zimmer-im-ersten-Stock-©-Laura-Anninger
Wenn Ayman abends nach Hause kommt, hört er aus den Zimmern seiner Stocknachbarn leise das ORF-Programm.

  „Entschuldigung junger Herr, wohnen Sie hier?“ hört Ayman in seinen ersten Wochen oft. Es dauert bis sich herumspricht, dass nun auch Studenten im Heim leben. Seitdem dauert der Weg ins Zimmer manchmal länger, weil Ayman in Gespräche verwickelt wird. „Viele Leute suchen jemanden, mit dem sie reden können,“ sagt er. Man lernt, geduldig zu sein. Anfangs verbringt er fünf Stunden wöchentlich in der Tagfamile, einem Raum, in dem demenzkranke Patienten betreut werden. Er und die anderen Studenten holen die Bewohner aus ihren Zimmern ab, unterhalten sich mit ihnen, schenken Getränke aus. „Einmal habe ich einen Kartentrick vorgeführt, das war ein großer Spaß“, erzählt er. Entgeltliche Einschaltung Bald hat Ayman Bekannte, etwa Frau Unterberger.  Nach Absprache mit der Heimleitung darf Ayman nun seine Sozialstunden mit Frau Unterberger verbringen. Sie lesen und diskutieren Zeitungsartikel. „Sie ist sehr gebildet,“ sagt Ayman über Unterberger. Ihre Gespräche helfen ihm etwa, das politische System in Österreich besser zu verstehen. ,Im Gegenzug repariert er Frau Unterbergers Laptop. Den braucht sie, um ihren Roman zu schreiben – eine Liebesgeschichte über zwei Brüder und ein Mädchen. „Sie gibt mir Lösungen,“ sagt Ayman über Unterberger. Und, eindringlicher: „Sie ist wunderbar.“

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Bild-4.-Ein-Beitrag-über-Ayman-im-Heimmagazin-©-Laura-Anninger
Zweimal jährlich kommt das Heimmagazin, aus dem letzten strahlen Ayman und eine Bewohnerin

  Ein Foto von einem Mann in Karohemd mit weißem Vollbart pinnt neben dem Essensplan. Darunter steht: Walter Kiendl – BewohnerInnenvertreter. In dieser Funktion führt der 75-Jährige durch sein Haus Maria Jacobi. Von der Kegelbahn in das Gymnastikzimmer bis zum Bastelraum. Früher haben mehr Menschen gebastelt. Heute ist das schwerer. Kiendl schüttelt seine Hand schnell zu Demonstrationszwecken. Parkinson. Überhaupt steige der Altersschnitt der Heimbewohner. Musste man vor zehn Jahren – als Kiendl einzog – noch nachweisen, dass man alleine zum Essen gehen kann, kämen heute schon Leute mit schweren körperlichen Beeinträchtigungen. Mit den Studenten hat er kaum Kontakt. Aber es sei  gut, „dass ein bisschen jugendliche Energie ins Haus kommt.“  

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Bild-5.-Herr-Kiendls-Bild-im-Bastelschrank-©-Laura-Anninger
Herr Kiendl auf dem Cover der Hauszeitung, zwischen selbstgemachten Stofftieren und Hauben.

„Familie und Freunde habe ich draußen,“ sagt auch Kiendl. Mit ihnen geht er essen oder auf Konzerte. Eine Österreich-Reisegruppe hat er auch. „Nur sind nicht mehr alle so mobil wie früher.“ Mit seinem besten Freund ist der ehemalige Flugzeugtechniker viel gereist. Ob in Rio de Janeiro, Tokio oder Hongkong, seine Nikon-Kamera hatte er immer im Handgepäck. Heute kommt sie bei Schlagernachmittagen und Tanzveranstaltungen im Haus Maria Jacobi zum Einsatz.

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Bild-6.-Herr-Kiendl-im-Aufenthaltsraum-©-Laura-Anninger
Ich komme und gehe, wie es für mich am Besten passt. Hier bin ich frei, sagt Herr Kiendl.

 

Spaziert Kiendl durch den Hauptgang stecken die Bewohner ihm Zettel zu. Auf ihnen stehen Essensbestellungen für den nächsten Tag. „Viele Menschen haben Angst vor dem Computer,“ sagt Kiendl. Darum tippt er die Essenswünsche der Bewohner in einen Standrechner. Daraus liest die Küche die Essensmengen. “Menschlicher Austausch und eine Aufgabe, das ist wichtig”, weiß der Pensionist. Manche dieser Aufgaben hat er sich selbst gesucht. Denen, die nicht mehr selbst einkaufen können, liefert er Mineralwasserflaschen. „Wasserdienst,“ nennt er das. Von den meisten Bewohnern bekommt er Dank zurück. Nur die „Motschgeranten“, die ihm erklären, dass die „Karotten zu weich waren,“ nerven Kiendl manchmal. „Aber bei fast 300 Bewohnern kann man denen ja aus dem Weg gehen.“

 

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Bild-7.-Herr-Kiendl-sitzt-im-Eingangsbereich-©-Laura-Anninger
Ab neun ist es ruhig im Haus Maria Jacobi.

  Neun Uhr abends, Sperrstunde. Kiendl sitzt im Eingangsbereich. „Nein, Sie müssen bitte zur Seitentür raus,“ erklärt er immer wieder Bewohnern, die durch die geschlossene Eingangstür wollen. Auf dem Tisch vor ihm liegt die Heimzeitung. Auf Seite drei ein Foto – Ayman strahlend, eingehakt mit einer Bewohnerin. Im Anzug und mit Rucksack kommt er in den Eingangsbereich. „Haben Sie den Anzug dann noch gekauft?“ fragt Kiendl. Die beiden sind sich in einem Herrenmodegeschäft in der Mariahilferstraße über den Weg gelaufen. Der Student bejaht lächelnd und geht durch die Seitentür. Heute steht noch ein Konzert mit Freunden auf dem Plan. „Bloß nicht stehen bleiben,“ ist Walter Kiendls Rat an junge Menschen. Dann geht er in sein Zimmer. Fotos bearbeiten.

Laura Anninger
Laura Anninger Laura Anninger hat Filmemachen gelernt und Kulturwissenschaft studiert. Am liebsten erkundet sie, mit Kamera und Laptop ausgestattet „fremde” Kulturen, und entdeckt dabei meist, dass diese gar nicht so fremd sind. Für OIDA hat sie im Seniorenheim zwei Männer kennengelernt, die 50 Jahre trennen, aber eine Lebensphilosophie eint. Und von ihnen gelernt: „Das wichtigste im Leben ist, nie stehen zu bleiben.”
Julia Geistberger
Julia Geistberger Julia Geistberger hat ihren Bachelor in Internationale Entwicklung gemacht und studiert neben Journalismus auch noch Politikwissenschaft. Das schöne am Journalismus ist für sie, sich immer wieder mit neuen Themen und verschiedenen Perspektiven beschäftigen zu können. Für OIDA war sie zum ersten Mal seit fast zwanzig Jahren in einem Seniorenwohnheim. Ihre Großeltern, die mit 85 noch alleine in ihrem Haus leben, sieht sie nun mit anderen Augen.