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Heute brennt die Kerze neben dem Eingang. Das bedeutet, dass in der Nacht jemand verstorben ist. Es ist früher Vormittag an einem grauen Wintertag auf der Palliativstation des CS Hospiz am Rennweg. Wenn Gabriele Klein ihre Schicht beginnt, dreht sie zuerst ihre Runde. Vorbei an der Kerze am Empfang, in die Patientenzimmer. Soeben ist eine ältere Dame eingezogen. Sie trägt eine rote Kurzhaarperücke und dazu passenden Lippenstift. Die Frauen begrüßen sich freundlich, denn die Patientin ist nicht zum ersten Mal hier. Gerade hat sie eine Chemotherapie hinter sich, die fünfte. Aber heute geht es ihr gut. „Ja mei, wenn ich sterben muss, dann ist das halt so“, sagt sie. Ein gutes Leben hatte sie. Jetzt ist sie Mitte 70, da sei es okay wenn der Tod eben kommt.

Dann geht Gabriele weiter zu dem nächsten Patienten. Er ist an ein Sauerstoffgerät angeschlossen. Sie setzt sich an das Bett des Mannes, hält seine Hand. „Konnten Sie heute Nacht ein bisschen schlafen? Wie geht es Ihnen heute?“, fragt sie den alten Mann. Gabriele sagt, es sei wichtig, sich auf die jeweilige Person einzulassen, ganz bei ihr zu sein.

Auf der Palliativstation werden chronisch und unheilbar kranke Menschen betreut

Gabriele Klein ist Pensionistin. Seit acht Jahren arbeitet sie einmal pro Woche als Ehrenamtliche auf der Palliativstation. Hier liegen schwerkranke Menschen, die als unheilbar gelten. Oft werden die Ehrenamtlichen als Sterbebegleiter bezeichnet, aber Sterbebegleitung geschieht aus vielen Professionen heraus. Im Team des Hospizes arbeiten auch Ärzte, Psychologen, Psychotherapeuten, Physiotherapeuten, Seelsorger und Pfleger.

„Es geht darum für die Menschen da zu sein, sich für sie Zeit zu nehmen“

Zusammen mit den anderen Ehrenamtlichen kümmert sich Gabriele um allerlei anfallende Aufgaben. Sie räumt die Spülmaschine aus oder begleitet Patienten zur Bank, wenn diese noch finanzielle Angelegenheiten klären möchten. Doch in erster Linie geht es darum, für die Schwerkranken da zu sein. Ihnen das zu geben, was in der Pflege im Krankenhaus oft zu kurz kommt: Zeit.

Wenn Gabriele jemandem zuhört, dann tut sie das wirklich. Mit Mitgefühl, aber ohne Mitleid. Sie strahlt Ruhe und Gelassenheit aus. Manchmal führt sie lange Gespräche, andere Male sitzt sie schweigend am Bett des Patienten. Man müsse feinfühlig sein, was die Person in dem Moment braucht, sagt sie.

Gelingt es, Frieden mit dem eigenen Schicksal zu schließen, fällt der Abschied leichter

Was beschäftigt Menschen, wenn sie wissen, dass ihr Lebensende naht? „Manche versuchen nicht an den Tod zu denken, verdrängen ihn. Andere schauen zurück, sprechen über einschneidende Ereignisse und prägende Lebensphasen. Einige Patienten hadern mit ihrem Schicksal“, erzählt Gabriele. Das passiere meist nicht offen, sondern zeige sich in Unruhe und Unzufriedenheit. Viele würden es dann mit der Zeit schaffen immer ruhiger zu werden, bis eine gewisse Gelassenheit eintritt. Das sei ein langsamer Prozess des Loslassens und Akzeptierens. Gabriele Klein sagt: „Manche sind bis zum Ende erfüllt von Dingen, die in ihrem Leben nicht gut verlaufen sind, von Ärger und Zorn. Dann fällt der Abschied schwerer.“

Die Art wie Menschen Sterben hängt auch damit zusammen, wie sie gelebt haben. Das ist eine Linie, glaubt Gabriele. Hat jemand schon im Leben viel gehadert, so ist die Gefahr größer, dass er auch mehr mit dem Tod ringen wird. Denn der Tod ist etwas zutiefst Persönliches und Individuelles.

Sterbebegleitung hat das Ziel ein ruhiges und friedliches Ende zu erleichtern

Sterbebegleitung ist nicht der Versuch, das Lebensende hinauszuzögern. Es geht darum, ein ruhiges und friedliches Ende zu erleichtern. Das kann auf unterschiedlichen Wegen passieren. Für manche ist es wichtig, noch einmal nach Hause zu fahren, um sich verabschieden zu können, erzählt Gabriele. Andere möchten noch eine Zigarette rauchen oder ein letztes Mal draußen in der Sonne sitzen. Einmal war eine ältere Dame auf der Station, die immer gerne feiern gegangen ist. Sie hatte den großen Wunsch noch eine Abschiedsparty zu geben, alle Freunde einzuladen. Also organisierten die Ehrenamtlichen auf der Palliativstation eine Feier. Einige Tage später ist die Frau verstorben, friedlich.

Gabriele Klein hat schon viele Stunden an den Betten Sterbender verbracht. Sie sagt, mit ihnen in Kontakt zu treten sei anders. Oberflächliche Dinge würden dann keine Rolle mehr spielen. Oft gehe es darum zu kommunizieren, ohne zu reden. Sie nennt das „in Beziehung gehen“, sei es über Worte, Blicke oder Berührungen. Den Sterbenden helfe es einfach zu wissen, dass jemand bei ihnen ist.

Unsere Gesellschaft drängt den Tod an den Rand. Aber da ist er real

Eins haben wir alle gemeinsam: Jeder muss sterben. Trotzdem wird wenig über den Tod gesprochen. Er wird an den Rand gedrängt, verdrängt. Gabriele Klein glaubt, dass das aus einer Art Selbstschutz heraus geschieht. „In unserer Gesellschaft geht es mehr um das Haben, als um das Sein. Da passt der Tod einfach nicht dazu“, sagt sie. Als Gabriele die Ausbildung zur Sterbebegleiterin anfing, fragten einige Freunde, warum sie sich das antun wolle. Ständig mit dem Tod konfrontiert sein, das gehe doch sicher an die Substanz? Gabriele Klein empfindet das nicht so. Für sie ist die Arbeit erfüllend. Denn sie kann den Menschen etwas geben, das sie ihrem Mann nicht geben konnte, der ganz plötzlich verstarb. Damals ist für sie eine Welt zusammengebrochen. Dann ist sie in die Sterbebegleitung gegangen.

„Durch die Arbeit habe ich viel über den Tod gelernt. Er ist für mich realer geworden und er hat dadurch seinen Schrecken verloren“, sagt Gabriele und hält inne. Selbst nach den vielen Jahren auf der Palliativstation fällt es ihr manchmal schwer die Dinge in Worte zu fassen. Aber sie hat die Erfahrung gemacht, dass der Tod sogar schön sein kann. Auch wenn es sich komisch anfühlt so etwas zu sagen.

Hanna Winterfeld
Hanna Winterfeld @WinterfeldHanna Hanna Winterfeld schreibt am liebsten über Menschen und das was diese bewegt. Im Bachelor studierte sie Psychologie und Publizistik. Ihre journalistische Erfahrung sammelte Hanna unter anderem als freie Redakteurin einer Lokalzeitung und als Hospitantin bei ARTE und dem Bayerischen Rundfunk. Für OIDA traf sie eine schwerkranke Patientin und eine ehrenamtliche Sterbebegleiterin der Palliativstation. Dabei sprach sie das erste Mal mit Fremden über den Tod und machte die Erfahrung, dass es manchmal gar nicht so einfach ist die Dinge in Worte zu fassen.