„Es tut mir Leid Frau Margl, Sie sind wahrscheinlich unheilbar.“ Isabella hört die Worte der Ärztin, aber sie versteht sie nicht. Sie befindet sich in einer luftleeren Blase, alles ist dumpf, verschwimmt, Worte sind nur noch ferne Echos. Unheilbar? Jetzt hat sie so lange gegen den Krebs gekämpft. Soll das alles umsonst gewesen sein? In ihrem Kopf schwirren tausende Gedanken, aber nur einer bleibt hängen: Sie wird bald sterben.
Die Ärztin überreicht ihr die Nummer eines Hospizes. Isabella hadert. Ins Hospiz, da gehen die Leute hin und kommen nicht mehr zurück. Andererseits hat sie gehört, dass die sich da sehr gut um einen kümmern.
Isabella musste lernen Frieden mit ihrer Vergangenheit zu schließen
Isabella ist 69 Jahre alt. Sie hat kurze graue Haare, trägt eine große Wolljacke. Ihre Finger sind knochig, das Gesicht ist gezeichnet von der Krankheit, aber ihre Augen strahlen. Isabella hat lange mit ihrer Diagnose gekämpft. Immer wieder fragte sie ihren Gott, warum er es so verdammt hart mit ihr meint. Sie hat über Dinge nachgedacht, die in ihrem Leben nicht gut verlaufen sind. Sie hat sich gefragt was wäre, wenn die Krankheit nicht wäre. Was, wenn ihre Familie noch bei ihr wäre? Wer wäre sie dann jetzt? Doch irgendwann hat sie beschlossen, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Denn sie weiß: Nur so kann sie in Frieden gehen.
Die Abschiedsbriefe sind geschrieben, die Beerdigung ist bezahlt
Isabella ist auf den Tod vorbereitet. Sie hat Abschiedsbriefe an ihre Söhne geschrieben, ihre Beerdigung bereits bezahlt und einige Dinge verschenkt. Zweimal die Woche kommen Ehrenamtliche eines mobilen Palliativdienstes. Diese helfen ihr im Haushalt oder begleiten sie, wenn sie mal wieder ins Krankenhaus muss. Emotionale Unterstützung erhält Isabella von der Psychotherapeutin und dem Seelsorger eines Hospizes, mit denen sie ab und zu telefoniert.
„I versuch ned mehr viel in die Zukunft zu schauen“, sagt sie. Für Isabella zählt nur noch das Jetzt. Manchmal sitzt sie auf der Couch in ihrem Wohnzimmer und beobachtet das Lichtspiel der Sonnenstrahlen auf dem braunen Teppich. Sie erfreut sich an den Farben der Blumen oder dem Schnee, der heute auf ihrem Balkon liegt.
Irgendwann kann selbst die stärkste Kämpferin nicht mehr
Vor dem Tod hat Isabella keine Angst. Aber manchmal würde sie gerne da oben anrufen, um zu fragen ob es da wirklich nicht so schlimm ist. „Andererseits gäb´s dann kaane Überraschung mehr“, sagt sie in ihrem breiten Wiener Dialekt. Nur ein Gedanke macht ihr Kummer: Wer wird bei ihr sein, wenn sie stirbt?
Daheim ist alles so vertraut. Aber das Leben wird immer mehr zur Herausforderung
Isabella lehnt sich in ihrem Sessel zurück, wickelt die Wolljacke etwas enger um die schmalen Schultern und blickt aus dem Fenster. Sie sieht das bunte Windrad auf dem Balkon, das sich heute nicht dreht, weil es von einer dünnen Schicht Pulverschnee überzogen ist, die graue Wohnanlage gegenüber und einen Vater, der seinen Kinderwagen über die Straße schiebt. Lange hat Isabella hier gelebt. Alles ist ihr so vertraut. Aber das Leben wird alleine immer schwerer, kaum zwei Teile kann Isabella aus der Waschmaschine holen, ohne sich ausruhen zu müssen.
Irgendwann wird sie wohl doch die Nummer des Hospizes wählen. „ Dann wär die Einsamkeit ned so groß. Und no a paar letzte Wünsche von den Augen abgelesn zu bekommen, wäre ja a ned schlecht“, sagt sie und lacht glucksend.
Infografik: Warten auf den Tod?