Die Schulglocke klingelt. Julia zieht ihre Jacke an und rennt mit ihren Freunden in den Schulhof, direkt in die Arme des dort wartenden Mannes. „Ist das dein Opa?“
Mit solchen oder so ähnlichen Aussagen war nicht nur Julia in ihrer Kindheit konfrontiert. Auch Pablo, Lisa und Laura. Sie alle sind Kinder eher älterer Väter.
Klassisches Familienmodell nicht mehr zeitgemäß
Späte Vaterschaft ist ein immer aktueller werdendes Thema unserer Gesellschaft. Demographischer Wandel, bessere Planbarkeit von Familie und der Drang zu Individualismus führen zu älteren Eltern. Fast jede und jeder hat eine Meinung dazu. Sie gehen weit auseinander. Der eine schimpft über den Egotrip des alternden Mannes, die andere freut sich über dessen Erfüllung eines lang gehegten Kinderwunsches. Späte Vaterschaft ist ein Familienmodell, das nicht der Konvention entspricht.
Das Kinderkriegen – in unserer Gesellschaft sehr hoch angesehen, erwünscht, sogar staatlich gefördert. Umso beachtlicher ist es, dass diese generelle Zustimmung und Gutheißung in Ablehnung umschlägt, je fortgeschrittener das Alter der Eltern ist.
3,7 Prozent der Väter in Österreich waren im Jahr 2016 bei der Geburt ihres ersten Kindes 40 Jahre oder älter. Die Statistik unterscheidet nach diesem Alter nicht genauer. Die Gesamtzahl der älteren Väter ist für statistische Interpretationen zu gering. Julias Vater war bei ihrer Geburt 62 Jahre alt, Lauras Vater 50. Ob er sich Gedanken über den Einfluss seines Alters auf sein Kind gemacht hat? „Eigentlich nicht“, sagt Lauras Vater. Auch weil er von anderen das Gefühl vermittelt bekommen hätte, er würde viel jünger wirken als er tatsächlich sei.

Die Gerüchte über die medizinischen Risiken später Vaterschaft reichen von Missbildungen und Erbkrankheiten bis hin zu verminderter Intelligenz bei den Kindern. Ältere Forschungen stimmten mit diesen Vorurteilen überein. Sie nahmen bei Kindern älterer Väter ein relativ hohes Risiko für Missbildungen und für die Vererbbarkeit genetischer Defekte an. Neuere Untersuchungen bestätigen zwar das generelle Risiko, schwächen die Annahmen aber erheblich ab. Verminderte Intelligenz bei Kindern älterer Väter konnte, laut dem Urologen Dr. Heinz Pflüger, nicht nachgewiesen werden. Dessen ungeachtet ist die Altersgrenze für Samenspenden in Österreich relativ weit unten angesetzt. Bei einem der führenden Kinderwunschzentren, dem Goldenen Kreuz, sind Samenspenden überhaupt nur bis zu einem Alter von 35 Jahren erlaubt.
Alter versus Kinderwunsch
Ob ihr Vater ihren 15., 18., oder 20. Geburtstag noch erleben wird, darüber hat sich Julia schon als Kind viele Gedanken gemacht. Die Meinung, dass ein hohes Alter moralisch nicht mit einem Kinderwunsch vereinbar ist, teilen Dr. Pflüger und der Psychologe Dr. Harald Werneck nicht. „So lange keine Erbkrankheit oder Ähnliches nachgewiesen vorliegt, spricht doch nichts gegen eine späte Vaterschaft. Wer weiß, vielleicht hat ein älterer Vater mehr Zeit für seine Kinder, ist vielleicht schon in Pension.“, sagt Pflüger. Ähnlich sieht das Werneck: „Wenn es für alle Beteiligten passt und das Kind von liebevollen und kompetenten Bezugspersonen betreut wird, dann sehe ich kein großes Problem in später Vaterschaft. Eine Garantie, dass Kinder ihre Väter mindestens 20 Jahre in gutem Gesundheitszustand erleben, gibt es sowieso nie.“
Die Realität für Kinder von älteren Vätern kann auch ganz anders aussehen. Lisa hat sich als Kind und auch als Jugendliche oft einen jüngeren Vater gewünscht. Einen Vater, der etwas gelassener und verständnisvoller für ihren Lebensstil ist. Julia hat es ähnlich erlebt: „Es ist einfach ein großer Generationenunterschied. Er war zu alt um mit uns mit zuwachsen.“ Laura hingegen sieht auch die positiven Seiten an ihrem „alten Vater“. Es sei vor allem die Zeit, die er sich für sie nehme. Jüngere Väter, die viel arbeiten, hätten diese Möglichkeit nicht. Außerdem würde ihr Vater sehr auf seine Gesundheit achten. Trotzdem denkt Laura manchmal darüber nach, welche Ereignisse ihr Vater vielleicht nicht mehr miterleben kann. Hochzeit? Das erste Kind?
Die Realität in den Familien
Julias Vater ist vor kurzem gestorben. Sie hat vor seinem Tod nur wenig über Sorgen und Ängste gesprochen. „Ich wollte das nicht, das darüber reden machte mich eher fertig.“, meint Julia. Gibt es den perfekten Zeitpunkt, um mit seinem Kind darüber zu sprechen? Für Entwicklungspsychologen Dr. Eickhorst, der sich auf Väterforschung spezialisiert hat, ist es wichtig, das Thema „Tod“ altersgerecht und als etwas Normales mit dem Kind zu besprechen. „Das Thema sollte ab dem Alter einbezogen werden, ab dem das Kind ernsthaft nach dem Tod fragt. Anfangs ist das Wort nur ein Begriff, aber mit der Zeit verknüpft ein Kind Bedeutung damit. Das Kind realisiert, was Alter und Tod heißen.“
Der potentiell frühere Tod und schlechtere Gesundheitszustand des Vaters sind aber nicht die einzigen Themen des Alters. „Es sind Vorteile wie mehr Reife, mehr Lebenserfahrung, finanzielle Sicherheit, mehr Zeit und der oftmals dezidierte Kinderwunsch, die für eine späte Vaterschaft sprechen.“, sagt Eickhorst.
Späte Vaterschaft ist oft nicht die erste. In vielen Fällen gibt es bereits erwachsene Kinder. Erziehung ist kein Neuland mehr, ältere Väter sind oft gelassener mit ihren Kindern.
Die Familie, in der ein Kind aufwächst, prägt. „Für Kinder kann die Familienkonstellation zu einer Kindheit und Erziehung mit Offenheit und Toleranz führen, da das Familienmodell nicht der Norm entspricht. Flexibilität ist sicherlich auch ein Wert, der den Kindern von Anfang an mitgegeben wird.“, sagt Eickhorst. Für Julia war ihre Familienkonstellation Realität. Sie kannte es nicht anders. „So wie man selbst aufwächst ist es für einen normal“.
Vater ist eben Vater, egal wie alt er ist.