Sie ist unsicher, hat Angst. Es ist dieses unangenehme Gefühl, dass etwas in ihr eigenes Leben tritt, ohne dass sie es will. Ihr Herz pocht schneller, ihre Hände zittern stärker als gewohnt. Jetzt oder nie. Ein letzter Blick auf ihre Notizen, dann geht es los. Und Christa Babernek, 70, meldet sich bei Facebook an.
Es ist kurz nach neun Uhr morgens im Seniorencolleg, Praterstraße 45: Ein einfacher Raum, knappe 30 Quadratmeter mit einem großen Tisch, einer Tafel und Wänden voll mit eingerahmten Zertifikaten und alten Zeitungsartikeln. Überall verteilt stehen Werbebanner und liegen Broschüren, auf denen einen glückliche Senioren mit ihren Handys und PCs anstrahlen.
Entgeltliche Einschaltung
Am Tisch sitzen sieben Damen im Alter zwischen Anfang 60 und Ende 70. Vor ihnen befindet sich jeweils ein aufgeklappter Laptop, eine angesteckte Maus, Stift und Block zum Mitschreiben. Sie tippen und touchen und scrollen und klicken. Gleichzeitig folgen sie den Anweisungen einer weiteren Frau, die sich im Raum befindet. Diese ist etwas jünger, ganz in schwarz gekleidet, mit blondem Kurzhaarschnitt und strenger Brille im Leopardenmuster. Hektisch geht sie auf und ab, blickt immer wieder prüfend auf die Bildschirme. „Also meine Damen, auf jetzt ins Google, Facebook reinschreiben, Log-in aufmachen. Ihr überlebt das schon!“
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Sie, das ist Karin Niederhofer, Leiterin des Seniorencollegs. Seit bereits elf Jahren hilft sie älteren Menschen beim Schritt aus der analogen, hinein in die digitale Welt. Während der Fokus vor einigen Jahren noch auf der einfachen Bedienung eines Computers lag, interessiert die Kursteilnehmer heute vor allem das Internet. Angeboten werden Anfängerkurse für PC und Smartphone, sowie Weiterbildungen für Windows, Text- und Bildbearbeitung, E-Banking oder seit Kurzem auch eigenen Alexa-Schulungen. Niederhofer weiß, „die Senioren wollen Spaß haben, tolle Webseiten und Apps finden, die einen Mehrwert für sie haben.“ Per Mausklick beim Billa einkaufen, Reisen online buchen, Lieblingsrezepte oder Strickanleitungen austauschen, Krankheiten googlen oder gar nach einer neuen Liebe suchen – das Internet hat Senioren viel zu bieten. Darüber hinaus entstehen neue Wege, mit Familie und Freunden auf der ganzen Welt in Kontakt zu bleiben.
„Facebook ist wie eine Küchenrolle“
Perfekt dafür geeignet: Soziale Medien. Und um diese, also Facebook, Instagram, Snapchat und Co., geht es an diesem Dienstagmorgen. Ursprünglich hätte Niederhofer den Seniorinnen heute erklären wollen, wie sie animierte Weihnachts- und Silvestergrüße via E-Mail versenden können. Die Neugierde von Ursula Rossi, 70, war jedoch größer: „geh Karin, zeig uns doch lieber, was es mit diesem Facebook auf sich hat, von dem die Jungen immer reden.“
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iColleg 7, das ist eine gute Gruppe: neugierig, offen und fit. Diese Damen wollen mitreden. Seit gerade einmal einem Dreivierteljahr sind sie mit dabei. „Davor habe ich nicht einmal gewusst, wie ich so einen Computer einschalte und vom Internet wollte ich schon gar nichts wissen“, lacht Christa Babernek. Lektion eins war damals: Wie benutze ich eine Maus? Was passiert beim Drücken der rechten oder linken Maustaste? Und was hat es mit diesem Touchpad auf sich? Dinge, über die die Seniorinnen heute nur noch schmunzeln können. Mittlerweile sind sie alle offener, vor allem aber mutiger geworden. Ein wenig Skepsis ist bei neuen Inhalten dennoch immer dabei.
„Dieses Facebook frisst euch schon nicht“, sagt Niederhofer auffordernd in die Runde, „ihr müsst euch das einfach vorstellen wie eine kilometerlange Küchenrolle, die ihr rollt und die immer länger wird. Und da sind Bilder und Texte drauf, von allen Leuten, die ihr kennt.“
„Dieses Facebook frisst euch schon nicht“, sagt Niederhofer auffordernd in die Runde
Es ist vor allem eine psychologische Arbeit, die die Kursleiterin hier leistet: Sie macht die unbekannten Dinge greifbar und nimmt den Senioren dadurch die Angst. Zwingen tut sie niemanden dazu, sich anzumelden. Trotz anfänglicher Vorsicht tun es dann doch alle. Auch Frau Babernek, die – kaum angemeldet – ihren ersten Schrecken erlebt: „Um Gottes Willen, da hat mir jemand geschrieben Was machst du gerade, Christa?“. Die gegenübersitzende Hannelore Preining beginnt zu kichern. „Des ist doch das Facebook selbst. Das will, dass du da was reinpostest“, klärt sie auf, während sie gespannt das Profil ihrer Enkelkinder durchforscht. Ihre Sitznachbarin, Frau Rossi, tippt langsam aber sicher mit ihrem rechten Zeigefinger Buchstabe für Buchstabe in die Tastatur hinein. Ihre erste Facebook-Message geht an ihren Sohn: „Hallo mein Schatz, ich bin jetzt auch auf Facebook. Kuss, deine Mama.“ Währenddessen versucht Karin Niederhofer verzweifelt eine andere Kursteilnehmerin davon zu überzeugen, dass sie nicht das Facebook gelöscht, sondern nur den Internetbrowser geschlossen habe. „Na leicht hab ichs nicht mit euch, meine Damen!“
Senioren brauchen einen Weg
Hannelore Preining, 73 Jahre alt, eine Wienerin mit ruhiger Stimme und kurzen, grauen Haaren, hatte eigentlich nie das Bedürfnis, einen Computer zu benutzen. Bis sie von ihrem Sohn einen zu Weihnachten bekommen hat. Zeit, dieses komplizierte Ding seiner Mutter zu erklären, hatte er nicht. Und Geduld noch weniger. „Jetzt bin ich in einem Alter, in dem ich mir das noch einigermaßen alles merken kann“, dachte sie sich und meldete sich an: Anfängerkurs Computer, und Smartphone auch gleich mit. Heute gehören WhatsApp, Updates und E-Mails zu ihrem Alltag. Unter gleichaltrigen Freunden gelte sie längst als „Technik-Hero“, erzählt sie sichtlich stolz, „aber die kennen sich da gar nicht aus, die wollen davon nichts wissen, und wenn sie dann doch mal was brauchen, dann kommen sie angerannt.“
41 Prozent der 65- bis 74-jährigen Österreicher haben noch nie in ihrem Leben das Internet genutzt Statistik Austria
Oft sind es die Kinder, die ihre Eltern im vorgerückten Lebensalter mit der neusten Technologie ausstatten wollen. Oft sind es auch die Kinder, die dann keine Zeit, geschweige denn Geduld aufbringen, um ihren Eltern den neuen Laptop oder das Smartphone zu erklären. „Es kommen häufig Senioren zu mir, die sind total frustriert, haben einen Hass auf diese Digitalisierung. Das geht von Wut bis hin zu Tränen“, erzählt Niederhofer. Das Problem liege laut ihr in der Werbung, die den Leuten vorgaukle, sie sollen sich ein Handy oder einen Computer kaufen – verstehen werden sie es dann von selbst. Aber Senioren spielen nicht herum oder probieren mal was aus. Senioren brauchen einen Weg, eine klare Struktur. Sie wollen genau wissen, was beim nächsten Klick passieren wird. Häufig fühlen sie sich von der Masse an neuen Angeboten überrollt und sehen die Technik gar als Bedrohung an. Dazu kommen die zahlreichen englischsprachigen Begriffe, die abschrecken. Diese Berührungsängste führen dazu, dass noch immer 80 Prozent der Generation 60 plus hierzulande auf Smartphones verzichtet. Zudem haben laut Statistik Austria 41 Prozent der 65- bis 74-jährigen Österreicher noch nie in ihrem Leben das Internet genutzt. Zahlen, die im europäischen Vergleich auffällig hoch sind. Dabei kann Internetzugang und Smartphone-Nutzung nicht nur den Alltag im Alter erleichtern, sondern zunehmend über die Teilnahme am sozialen und gesellschaftlichen Leben bestimmen.
Von „Silver Surfern“ und „Best Agern“
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Bis 2030 wird die Zahl der über sechzigjährigen Österreicher auf mehr als zwei Millionen ansteigen. Darauf reagiert jetzt auch die Wirtschaft. Als sogenannte „Silver Surfer“ oder „Best Ager“ definiert sie die Generation 60 plus als neue, kaufstarke Zielgruppe im Netz. Zahlreiche Unternehmen beginnen sich auf die zunehmend älter werdende Kundschaft einzustellen. Seniorenplattformen boomen, Onlineangebote passen sich immer häufiger an die Bedürfnisse der älteren Menschen an. Es gibt Seniorenhandys mit extragroßen Tasten, PCs ohne Technik-Schnickschnack, mit bewusster Reduktion aufs Wesentliche. Denn wenn Fingerfertigkeit, Sehen und Hören im Alter nachlassen, dann sei intuitive Bedienung das A und O.
Nicht nur die Bereitschaft der Senioren gegenüber neuen Technologien wird immer größer. Auch die Kurse im Seniorencolleg werden immer gefragter. Derzeit sind rund 180 Senioren eingeschrieben. Auffällig dabei – nur fünf davon sind Männer. „Die sein ja immer so obergescheid und wissen alles besser“, lacht Hannelore Preining. „Mein Mann will von der ganzen Gschicht sowieso nichts wissen“, antwortet Ursula Rossi. Und auch Niederhofer bemerkt: Männer seien häufig ungeschickter als Frauen, wollen kaum lernen und üben, oder sagen „i setz mi doch ned zu de ganzen Weiber in an Kurs.“ Auch Verweigerer sitzen immer wieder in den Kursen, die nur meckern und nörgeln und meist nach dem ersten Mal nicht wieder kommen. Die meisten Teilnehmer lassen sich aber ein und finden Gefallen an der bunten Onlinewelt.
Wo schon so manche Mitte Zwanzigjährigen darüber klagen, dass sie zu alt für Apps wie Instagram und Snapchat seien, schrecken die Frauen im Seniorencolleg heute vor nichts zurück. Neugierig durchsuchen sie Instagram nach interessanten Hashtags und schießen lustige Selfies mit Einhorn-Filter und Hündchen-Ohren. „Ganz amüsant”, findet Frau Preining. Den wahren Sinn und Zweck dahinter sieht sie jedoch nicht und schreibt mit großen Blockbuchstaben SNAPCHAT? in ihren Block.
„Dafür bin ich zu alt“ – das gibt es im Seniorencolleg nicht. Denn zum Lernen ist man nie zu alt. Altersbeschränkungen gibt es hier keine, von 60 aufwärts ist jeder willkommen. Die älteste Teilnehmerin ist 93 Jahre alt, kam vor eineinhalb Jahren mit ihrem Rollator an und sagte, „ich will einen Drucker, ich will einen Computer und ich will das alles lernen!“ Heute surft sie, schreibt E-Mails und spielt Onlinespiele.
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Zwölf Uhr, die drei Stunden sind vorbei. Viel Neues wurde gelernt, was davon hängen bleibt ist ungewiss. „Wiederholen, wiederholen meine Damen. Sonst vergesst ihr mir wieder alles bis zum nächsten Treffen“, lacht Niederhofer. In einem Monat sehen sie sich wieder. Selber Treffpunkt, selbe Zeit. Die Seniorinnen packen ihre Laptops ein, ziehen ihre Jacken und Mützen an. „Jetzt werde ich gleich meinen Enkeln erzählen, dass die Oma auf Instagram und Facebook ist“, sagt Frau Rossi. strahlend in die Runde. „Die werden Augen machen!“, antwortet Frau Babernek. Und die Damen verlassen lachend den Raum und begeben sich hinaus ins nebelbedeckte Wien.