Neulich war ich ein Schlager. Wir waren am Nachmittag zu dritt in Schönbrunn am Christkindlmarkt. Jede hatte zwei Punsch getrunken und gegen 17 Uhr sind wir wieder heimgekommen. Da dachte ich mir: „So jetzt mach ich mir ein Theater und spiele die Besoffene.“ Ich bin rein ins Kaffeehaus und habe mich lallend zu meiner Stammrunde gesellt. „Mir ist so schlecht“, nuschelte ich und schwankte am Stuhl hin und her. Die anderen haben mich mit versteinerten Gesichtern angestarrt. Ich konnte mir kaum das Lachen verkneifen, die haben mir das alles geglaubt. Aber ich habe die Show zehn Minuten lang voll durchgezogen. Auf die Idee muss man mal kommen, aber ja so bin ich. Für Unterhaltung sorge ich schon.

„Mann soll sich fordern“

Ich muss immer was machen, solange ich noch kann und will. Das brauche ich einfach. Andere sind froh, wenn es nichts mehr zu tun gibt, aber das ist falsch. Man soll sich fordern, auch wenn es beschwerlich ist. Deswegen bin ich auch noch so gut beieinander – das ist meine Überzeugung. Deswegen dekoriere ich mein Zimmer auch immer entsprechend der Jahreszeit. Bei anderen sieht man oft nichts, aber mir macht das irrsinnig Spaß. Abends schalte ich dann alle Lichter und Kerzen ein. Das bereitet mir viel Freude.

Früher habe ich noch mehr gemacht. Schneidern war zum Beispiel immer mein Hobby. Mit Nadel und Zwirn in der Hand war ich der glücklichste Mensch. Auf meinem Bett sitzt eine Puppe, die ich noch aus meiner Kindheit habe. Ich habe sie früher immer mit den verschiedensten Stoffresten angezogen. Dann hatte ich eine Phase, in der ich jede Minute gemalt habe. Ich habe zwar immer eine Vorlage gebraucht, aber es hat mir sehr viel Freude bereitet. Gekocht habe ich auch irrsinnig gern. Ich habe immer gesagt, in ein Heim geh ich nie, da kann ich nicht mehr kochen, das ist mein Tod. Jetzt bin ich doch schon ein paar Jahre hier und lebe noch immer.

„Es ist nichts anderes übriggeblieben: er oder der Hund!“

Ich konnte jahrelang nicht darüber reden und es ist immer wieder schwer. Mein Mann musste unseren Hund erwürgen. Das Problem war, dass wir ihn erst sehr spät geholt haben und da hatte er seine Prägephase schon hinter sich. Er hatte es faustdick hinter den Ohren, aber wir haben ihn bis zum Schluss wahnsinnig geliebt. Wir hatten ihn 13 Jahre, aber er ist immer ärger geworden. Am Ende hatten wir nur noch Angst. Es war fürchterlich. Wenn man ein Lebewesen so gernhat, aber einem nichts anderes übrigbleibt. Mein Mann war damals gesund und bei Kräften, aber der Hund ist so auf ihn losgegangen, dass nicht einmal er es geschafft hat, ihn abzuwehren.

„Es war so fürchterlich, dass ich nur noch in Angst gelebt habe“

Mein Sohn hat sich mit 50 Jahren selbst umgebracht. Er war das Kind aus erster Ehe, einer kurzen Kinderehe. Damals musstest du heiraten, wenn du ein Kind bekommen hast. Aber ich habe ihn nicht aufgezogen, deswegen hatte ich nie so eine Verbindung zu ihm wie es sein sollte. Die erste Frau, die er geheiratet hat, war älter als er. Für sie war er nur ein Sexobjekt, aber das hat er in seiner Naivität nicht verstanden. Sie war schizophren und er hat wahnsinnig darunter gelitten. Das hat ihn natürlich geprägt. Dadurch ist er auf die schiefe Bahn geraten.

Nach der Scheidung stand Alkohol an der Tagesordnung und die Jobs hat er gewechselt wie Hemden. Dann ist er auch noch krank geworden. Am Vormittag war er noch beim Merkur für seine zwei Hunde einkaufen und hat sich dann in der Badewanne ertränkt. In seinen letzten zwei Jahre hat er mich regelmäßig bedroht. Mitten in der Nacht hat er angesoffen angerufen und mich die ärgsten Schimpfwörter geheißen. „Und ich steche dich ab“, hat er geschrien. Es war so fürchterlich, dass ich nur noch in Angst gelebt habe, weil er so unberechenbar war. Irgendwie war er nicht mehr ganz da, vielleicht durch den Alkohol. Auf der einen Seite war sein Tod furchtbar. Auf der anderen Seite war ich erleichtert. Ich musste keine Angst mehr haben.

„Das Negative lasse ich nicht an mich ran“

Ich habe schon einiges mitgemacht, aber ich kann Gott sei Dank damit umgehen und lasse es an mir abprallen. Das Negative lasse ich dann gar nicht an mich ran. Ich bin doch keine Masochistin, dass ich mir selber weh tu. Das war natürlich ein Prozess. In jungen Jahren habe ich oft anders reagiert, aber ich habe das gelernt. Da bin ich dankbar, dass ich so bin wie ich bin.

Es ist mir wichtig jeden Tag so gut es geht zu nützen und viel zu machen. Ich möchte mich bis zum letzten Tag noch so pflegen können wie ich es jetzt noch mache. Natürlich wird man älter. Die Haare sind weniger geworden, aber dieses gehenlassen gibt es bei mir nicht. Ich pflege noch den alten eleganten Stil und da kann mir niemand reinreden. Ich wünsche mir, dass ich einschlafe und nicht mehr aufwache. Und dass ich bis zum Schluss geistig so beieinander bin wie heute.

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Konstantin Auer
Konstantin Auer @AuerKo Konstantin Auer hat einen Bachelor in Politikwissenschaft und einen in Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Journalistische Erfahrungen sammelte er bei den Tips, bei M-Media, dem Kurier und dem ORF. Für OIDA führte er tiefgehende Gespräche mit Bewohnerinnen eines Seniorenheims. Die Begegnungen beeindruckten ihn sehr, besonders das Interview mit einer Dame, die gegen den Nationalsozialismus Widerstand leistete.
Veronika Hribernik
Veronika Hribernik @vero_hribernik Veronika Hribernik studierte Transkulturelle Kommunikation und Kultur- und Sozialanthropologie. Ihre große Leidenschaft ist es die Geschichten, die jeder Mensch zu erzählen hat, zu Papier zu bringen. Für OIDA machte sie sich auf die Suche nach solchen Geschichten und erfuhr dabei viel über das Leben. Sie sprach mit Bewohnerinnen eines Seniorenheimes über ihre Träume und Ängste, dokumentierte Tätowierungen audiovisuell und versuchte sich erstmals auch im Anzeigenverkauf.
Sieglinde Wöhrer
Sieglinde Wöhrer Sieglinde Wöhrer hat Germanistik in Wien studiert. Sie interessiert sich für Literatur und Gesellschaftskritik. Beim Schreiben beobachtet sie das Leben gern aus ungewöhnlichen Blickwinkeln. Für OIDA hat sie sehr persönliche Gespräche geführt und erkannt, wie Ängste und Träume den Alltag prägen.