Ich habe für meine Generation ein eher ungewöhnliches Leben gelebt und das mit Absicht. Geboren bin ich in Wien, habe aber viel im Ausland gelebt. Ich wollte nie heiraten, aber ein Kind haben. Das habe ich auch durchgezogen. Ich habe nur den Hauptschulabschluss, aber immer versucht, viel dazuzulernen. Vor allem Französisch. Ich habe damals nur gewartet bis der Krieg aus ist, damit ich nach Frankreich kann. Die Sprache ist sozusagen meine zweite Muttersprache.
„Ich war im Widerstand“
Das schlimmste in meinem Leben war die Kriegszeit. Ich habe in Wien gearbeitet, dann wurde ich dienstverpflichtet und musste nach Kiel zur Kriegsmarine. Dort habe ich im Büro gearbeitet und eine chronische Halsentzündung bekommen. Ich habe das Glück gehabt, dass dort ein österreichischer Arzt war, der gesagt hat: „Wollen Sie zurück nach Wien? Dann schreibe ich Ihnen einen Zettel, dass Sie das Klima hier nicht aushalten“.
Wieder in Wien habe ich geheime Informationen eines Sonderbeauftragten für die Donau, eines Generalmarschalls – was weiß ich, was – an die französische Botschaft weitergegeben. Ich war im Widerstand. Aus meinem Bekanntenkreis wurden zwei hingerichtet. Dabei haben wir nur versucht uns weiterzubilden, um nach dem Krieg was aufbauen zu können. Das ist eine große Schule für mich gewesen, ich habe ja nur die Hauptschule gemacht und da haben wir Marxismus studiert. Ich hatte im Büro das Glück, eine zehn Jahre ältere Buchhalterin kennenzulernen, die mich ins Herz geschlossen hat. Sie war meine zweite Mutter, meine geistige. Sie war Kommunistin und daher bin ich auch in diese Richtung. Allerdings bin ich Trotzkistin. Ein Jahr nach Kriegsende bin ich nach Paris.
Kommunismus, Demokratie und Russland
Ich glaube meine Grundeinstellung hat sich nicht geändert. Ich würde sagen, wenn man dem Kommunismus noch so viel vorwirft an schlechten Sachen, die Idee ist nach wie vor, meiner Meinung nach, die einzige Lösung für die Menschheit. Nicht in der Form wie es der Stalin gemacht hat. Aber, – und ich verfolge das Politische rundherum – ich kann mir heute nicht vorstellen, wo da ein Ansatz wäre.
Meine Meinung ist, dass Demokratie etwas Gutes ist. Aber die Mehrzahl der Menschen hat nicht gerade hohe Ethik und die Mehrzahl der Menschen entscheidet. In meiner Generation werden sie wenige finden, die so sind wie ich. Ja, Russland war für mich eine große Überraschung. Das erste Mal waren wir noch unter dem Kommunismus dort und das zweite Mal schon nach Glasnost. Zur Zeit unter dem Kommunismus gab es kaum Geschäfte, sie waren leer. Es hat keine besondere Kriminalität gegeben, kein Mensch hat gesagt: „Geben sie Acht auf ihre Tasche“. Die Menschen waren eher fröhlich, ja, trotz allem fröhlich. Zehn Jahre später haben die Märkte geblüht und die Menschen hatten kein Geld zum Kaufen. Überall ist gesagt worden: „Achtung, Achtung! Taschen halten!“ Natürlich habe ich immer durch die Augen einer Trotzkistin geschaut. Andere Leute würden es wieder anders sehen.
„Glück ist für mich, wenn ich meine Kinder erlebe
In meinem Leben hat es sehr viel gegeben, das mir Freude bereitet hat. Als ich jung war, war es natürlich die Liebe. Obwohl, ich wollte ein Kind ohne zu heiraten. Ich habe dann doch geheiratet. Aber erst, als das Kind schon da war. Die Ehe hat nur sieben Jahre gedauert. Das Problem war die Erziehung. Mein Mann war doch eher auf Autorität und ich war absolut das Gegenteil. Wir waren unglücklich, wir haben geglaubt, wir packen es nicht. Aber das Interessante ist: Wir waren eigentlich nie auseinander, er hat mit seinem Sohn gelebt und ich mit meiner Tochter. Aber die Beziehung hat nicht aufgehört, bis zu seinem Tod. Das war wirklich die stärkste Beziehung, die ich in meinem Leben hatte.
Vor zehn Jahren ist mein Mann gestorben und plötzlich waren die Kinder ständig da. Und so wie sie jetzt sind, sind sie auch keine unglücklichen Menschen geworden. Obwohl wir nicht einmal eine Patchwork-Familie waren.
„Aber ich höre nicht auf zu lesen. Das geht nicht.“
Glück bedeutet für mich auch zu lesen. Nachdem ich alte, vor allem französische und deutsche Literatur, glaube ich, sehr gut kenne, bin ich jetzt immer auf moderne aus. Also ich versuche immer zeitgenössische Literatur. Auf den Menasse bin ich in der Bibliothek vorgemerkt. Sie werden wahrscheinlich lachen: Die Jelinek schätze ich sehr. Die ist eine Sprachkünstlerin. Ich habe den Thomas Bernhard sehr gerne gehabt mit seiner Übertreibungskunst.
Ich habe nur diesen Abbau bemerkt, das schmerzt mich sehr. Wenn ich ein Buch gelesen habe, ist es da und wenn Sie mich ein halbes Jahr später fragen, ist es weg. Sie können mich fragen, was ich mit 15 gelesen habe, ich könnte den Inhalt angeben. Und jetzt bleibt nichts und das belastet mich schon sehr. Aber ich höre nicht auf zu lesen. Das geht nicht. Wenn mehrere Menschen mitspielen in einem Buch, dann muss ich mir auf einem Zettel aufschreiben, wer was macht und wie alt sie sind, weil das bleibt nicht mehr haften. Ja, im Alter gibt es schon unangenehme Sachen. Aber ich nehme es nicht tragisch.
„Ich habe eigentlich nur eine Angst: Dass ich ein Pflegefall werden könnte“
Aber ich glaube, dass in meinem Alter ein Pflegefall auch nicht mehr so lange dauert. Die Hilflosigkeit – davor habe ich Angst. Mein Mann hatte auch davor Angst und ist freiwillig aus dem Leben geschieden. Ich habe das immer verstanden. Aber ich könnte es mir nicht vorstellen, weil ich irgendwie das Gefühl habe, ich muss mein Leben bis zum Schluss leben. Aber das ist meine Einstellung. Ich spreche nur aus meiner Situation, wie ich jetzt bin. Wenn ich auf die Bettenstation in unserem Heim schaue, in welcher Situation da manche sind, ob ich da noch leben wollte, das weiß ich nicht.
„Die Leute, die ständig nur schimpfen, die sind nicht glücklich“
Ich leide nicht und da bin ich hier im Haus wahrscheinlich eine Ausnahme. Die meisten Menschen sind unglücklich, sind verzweifelt und mit allem unzufrieden. Zum Beispiel das Personal, die sind öfters nicht sehr freundlich. Ich sehe, dass sie gestresst sind und arm. Und die anderen sagen: „Es ist ja eine Frechheit, was man uns zumutet“. Man kann es so und so sehen. Und es ist wirklich immer dasselbe. Ist ja nichts Unwahres. Und ich bin dankbar, die Welt anders sehen zu können, denn die Leute, die ständig nur schimpfen, die sind nicht glücklich.
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