Ich bin blind. Aber Umrisse sehe ich. Früher dachte ich, dass Blindsein heißt, nur schwarz zu sehen. Aber das ist es Gott sei Dank nicht. Ich habe AMD, Altersbedingte Makuladegeneration und schon den Blindenstatus. Es ist bei mir leider sehr schnell gegangen, ich sehe weniger als fünf Prozent, das ist sehr wenig. Leicht ist das nicht, auch weil ich beide Seiten kenne. Ich bin darüber natürlich nicht sehr glücklich, es schränkt meine Pläne für die Zukunft ein. Ich kann alleine kaum mehr wohin gehen. Alleine mit der U-Bahn fahren schafft vielleicht ein junger Mensch, der schon blind aufgewachsen ist. Jetzt möchte ich noch halbwegs gesund bleiben, aber ich möchte es nicht unnütz hinauszögern. Ich war mit 70 schon hochgradig sehbehindert. Ich habe noch eine Operation gewagt, man hat versucht noch Zellen zu transplantieren. Das war 2002, bis dahin bin ich noch Autogefahren. Deswegen bin auch in das Seniorenheim gezogen. Aber ich hätte mir das wahrscheinlich sowieso vorgenommen, denn ich habe in einem Haus gewohnt, wo ich 80 Stufen bis zur Eingangstüre gehen musste.

„Beim Kegeln erschlage ich wahrscheinlich alle umstehenden, aber nicht die Kegeln“

Das Heim habe ich mir selber ausgesucht. Es war eine Umstellung, aber das hat es leichter gemacht. Es gefällt mir sehr gut hier, weil ich es mir so eingerichtet habe, wie ich es möchte. Außerdem habe ich mein Bildschirmlesegerät. Bücher kann ich damit nicht lesen, aber den Essensplan und sowas schon. Hier im Haus werden auch Quizrunden und Gedächtnistraining angeboten. Das nehme ich gerne an. Aber da sind mir natürlich auch Grenzen gesetzt. Beim Kegeln würde ich eher alle Umstehenden erschlagen, aber die Kegeln nicht.

Ansonsten macht mich nichts mehr richtig glücklich. Man hat ja keine Erwartungen mehr. Aber ich versuche es trotzdem. Ich habe Freunde, die nehmen mich in Konzerte oder in die Oper mit. Theater oder Kino ist nicht mehr möglich. Bis ich 60 war, bin ich auch Skigefahren und mit meinem Bruder viel gereist. Kinder habe ich leider keine, aber Nichten und Neffen habe ich genug und die kommen. Es macht mir Freude, sie aufwachsen zu sehen.

„Ich möchte, dass das Leben nicht unnötig verlängert wird“

Jetzt, wo ich weiß, dass es dem Ende zugeht, wünsche ich mir, dass es ich nicht lange dahinsiechen muss. Besondere Angst habe ich vor dem Gedächtnisverlust. Wenn, dann soll es schnell gehen. Ich habe auch eine Patientenverfügung gemacht, damit das Leben nicht sinnlos mit Maschinen verlängert wird, das möchte ich nicht.

Für die Jungen hoffe ich hingegen, dass einmal eine Trendwende kommt. Viele beschäftigen sich nur mehr mit Tablet und Internet. Ich wünsche, dass die Menschen draufkommen, dass das zwischenmenschliche Gespräch nicht auf der Strecke bleibt. Von jungen Menschen höre ich, dass das Berufsleben inhumaner wird. Man spricht nicht mehr mit Kollegen, man schickt ins Nebenzimmer ein Mail. Aber ich würde es auch gerne nützen, ich würde auch gerne Whats-App oder SMS schreiben. Es ist nicht nur ein Fluch, ich sehe es schon auch als Segen. Wenn mir was passiert auf der Straße, kann ich jemanden verständigen. Aber man soll gezielt damit umgehen.

„Der Vater war beim Militär. Das war nicht leicht.“

Ich bin in Wien geboren und in Wien aufgewachsen. Mit kurzen Unterbrechungen während der Kriegsjahre. Unsere Wohnung wurde bombardiert. Unsere Mutter hat dann in Niederösterreich, wo meine Großmutter herstammt, eine Wohnung gemietet und dann bin ich dort einige Monate in die Schule gegangen. Ein paar Monate bin ich auch in Gmunden in die Schule gegangen, das war im Jahr 1945. Dort habe ich mehr zum Essen bekommen, die armen Kinder sind dahin verfrachtet worden. Meine Mutter habe ich sehr früh verloren. Da war ich acht und mein Bruder sechs. Der Vater war beim Militär. Das war nicht leicht. Aber wir hatten Glück, dass uns die Familie aufgenommen hat. Er hat schnell wieder geheiratet, das musste er, weil er ja schließlich Soldat war. Wenn ihm irgendwas passiert wäre, muss er ja eine Frau haben, die sich um die Kinder kümmert. Aber geheiratet hätten sie sich so auch, nur später. Aber sonst habe ich – trotz Krieg – keine schlechten Erinnerungen an meine Kindheit.

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Konstantin Auer
Konstantin Auer @AuerKo Konstantin Auer hat einen Bachelor in Politikwissenschaft und einen in Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Journalistische Erfahrungen sammelte er bei den Tips, bei M-Media, dem Kurier und dem ORF. Für OIDA führte er tiefgehende Gespräche mit Bewohnerinnen eines Seniorenheims. Die Begegnungen beeindruckten ihn sehr, besonders das Interview mit einer Dame, die gegen den Nationalsozialismus Widerstand leistete.
Veronika Hribernik
Veronika Hribernik @vero_hribernik Veronika Hribernik studierte Transkulturelle Kommunikation und Kultur- und Sozialanthropologie. Ihre große Leidenschaft ist es die Geschichten, die jeder Mensch zu erzählen hat, zu Papier zu bringen. Für OIDA machte sie sich auf die Suche nach solchen Geschichten und erfuhr dabei viel über das Leben. Sie sprach mit Bewohnerinnen eines Seniorenheimes über ihre Träume und Ängste, dokumentierte Tätowierungen audiovisuell und versuchte sich erstmals auch im Anzeigenverkauf.
Sieglinde Wöhrer
Sieglinde Wöhrer Sieglinde Wöhrer hat Germanistik in Wien studiert. Sie interessiert sich für Literatur und Gesellschaftskritik. Beim Schreiben beobachtet sie das Leben gern aus ungewöhnlichen Blickwinkeln. Für OIDA hat sie sehr persönliche Gespräche geführt und erkannt, wie Ängste und Träume den Alltag prägen.